Schockschaden – Wer ist zum Schadenersatz berechtigt?
Ein kürzlich entschiedener Fall beleuchtet die Frage des Schockschadens bei Dritten, die nicht als „nahe Angehörige“ gelten. Der Oberste Gerichtshof hat in einem aktuellen Urteil eine wegweisende Entscheidung getroffen, die wir in diesem Beitrag näher beleuchten.
Hintergrund:
Am 3. Juni 2021 ereignete sich ein tragischer Unfall, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen und mehrere schwer verletzt wurden. Der beste Freund des Klägers befand sich unter den Betroffenen. Der Kläger erlebte den gesamten Unfallhergang aus nächster Nähe (etwa 45-50 Meter Entfernung) und eilte Sekunden nach dem Unfall seinem Freund zur Hilfe, konnte dessen Tod jedoch nicht verhindern. Diese schockierende Situation führte bei ihm zu einer akuten Belastungsreaktion, die später in eine posttraumatische Belastungsstörung überging.
Die neue Entscheidung:
Der Oberste Gerichtshof hat den Kreis der Berechtigten für einen Schadenersatzanspruch wegen eines Schockschadens erweitert. Bisher konnten primär „nahe Angehörige“ Schmerzengeldansprüche bei Schockschäden geltend machen. Nun können auch Dritte, die nicht als nahe Angehörige gelten, einen Anspruch erheben, wenn eine „qualifizierte Unfallbeteiligung“ vorliegt.
Fazit:
Im vorliegenden Fall bestätigte der Oberste Gerichtshof die Anspruchsberechtigung des Klägers, des Freundes des Verstorbenen. Obwohl der Kläger nicht als Angehöriger galt, erkannte das Gericht seine qualifizierte Unfallbeteiligung an. Seine unmittelbare Nähe zum Unfallgeschehen und die Versuche, seinem besten Freund zu helfen, führten zu einem Schockschaden mit Krankheitswert, den das Gericht rechtlich anerkannte.
Die Rechtsprechung verfeinert die zwei Fallgruppen für den Schockschaden bzw. Schmerzengeldanspruch aus diesem. Es gibt nun zwei Fallgruppen:
1. Qualifikation als „naher Angehöriger“
2. Ein Dritter, der nicht notwendigerweise ein naher Angehöriger des Getöteten oder Schwerstverletzten sein muss, ist unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt.
Q/A zum Schockschaden:
Wer zählt als naher Angehöriger?
Um als naher Angehöriger einen Schadenersatzanspruch wegen Schockschäden zu haben, muss eine typische Verbindung mit der verstorbenen Person bestehen. Die Rechtsprechung erkannte bisher Kinder, Eltern, Ehegatten, Lebensgefährten, Geschwister und zuletzt einen Stiefvater als nahe Angehörige an. Obwohl der Kläger im genannten Fall eine enge Beziehung zu seinem besten Freund hatte, erfüllte er grundsätzlich nicht die bisherigen Voraussetzungen, um als „naher Angehöriger“ zu gelten.
Was versteht man unter „qualifizierter Unfallbeteiligung“ und warum war sie im vorliegenden Fall entscheidend für die Anspruchsberechtigung des Klägers?
Die „qualifizierte Unfallbeteiligung“ bezeichnet eine direkte und gravierende Aussetzung des Dritten gegenüber der Erstschädigung, was durch aktive Teilnahme am Unfallgeschehen oder enge räumliche Nähe erreicht werden kann. Im vorliegenden Fall war dies entscheidend, da der Kläger direkt am Unfallgeschehen beteiligt war und dadurch einen Schockschaden erlitt.
Welche Auswirkungen könnte diese neue österreichische Rechtsprechung auf zukünftige Fälle im Bereich des Schockschadenersatzes haben?
Die neue österreichische Rechtsprechung könnte zu einer großzügigeren Gewährung von Schockschadenersatz für Dritte führen, die in qualifizierter Weise am Unfallgeschehen beteiligt waren.
Warum betrachtete das Gericht den Kläger nicht als bloßen unbeteiligten Unfallzeugen, sondern als Teil der Ausflugsgruppe mit „qualifizierter Unfallbeteiligung“?
Das Gericht sah den Kläger aufgrund seiner aktiven Beteiligung an der Unfallrettung und seiner engen räumlichen Nähe zum Geschehen als qualifiziert unmittelbar Beteiligten an.
Welche Rolle spielte die unmittelbare räumliche Nähe des Klägers zum Unfallgeschehen für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs?
Die unmittelbare Nähe des Klägers war ein wichtiges Kriterium, um seine qualifizierte Unfallbeteiligung anzuerkennen. Während nahe Angehörige nicht unbedingt am Unfallgeschehen teilnehmen müssen, um einen Schockschaden zu erleiden, der zum Schadenersatz berechtigt, muss bei sonstigen Dritten ein Miterleben des Unfallgeschehens vorliegen.
Welche Neuerungen bringt diese Entscheidung im Rahmen der Schockschadenjudikatur?
Das Feld der Berechtigten zum Schadenersatz aufgrund eines Schockschadens wurde erweitert. Es bleibt spannend zu sehen, wie der Oberste Gerichtshof das „einfache“ Mithören eines Unfallgeschehens (etwa am Telefon) oder das nachträgliche Betrachten von Aufnahmen des Unfallgeschehens beurteilen wird. Wann ist man zu weit entfernt? Wie lange darf der Dritte zum Unfall brauchen, damit er noch unmittelbar am Geschehen ist?
(OGH 14.12.2023 – 2 Ob 208/23m)