OGH kippt pauschale Leistungskürzung bei Gurtpflichtverletzung in Unfallversicherung, Versicherung muss EUR 300.000,- bezahlen!

Entscheidung des OGH vom 22. April 2025 (7Ob27/25h)

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in seiner Entscheidung vom 22. April 2025 (7Ob27/25h) eine Klausel in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUVB) für unwirksam erklärt, die eine pauschale Leistungskürzung von mindestens 25 % bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurts vorsah. Diese Entscheidung stärkt die Rechte der Versicherungsnehmer und setzt klare Grenzen für vertragliche Leistungskürzungen bei Obliegenheitsverletzungen.


Hintergrund des Falls

Ein Versicherungsnehmer erlitt am 1. Mai 2020 als nicht angegurteter Beifahrer eines Pkw auf einem privaten Holzbringungsweg einen schweren Unfall, der zu einer dauernden Invalidität von 100 % führte. Die Versicherung berief sich auf eine Klausel in den AUVB, die bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurts eine Leistungskürzung von 100% vor und selbst bei einem Kausalitätsgegenbeweis sogar mindestens 25 % vorsah, somit unabhängig davon, ob das Nichtanlegen des Gurts ursächlich für den Schaden war.


Kernaussagen des OGH

Der OGH stellte fest, dass die betreffende Klausel gegen § 6 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) verstößt. Nach dieser Bestimmung darf eine Leistungskürzung nur erfolgen, wenn die Obliegenheitsverletzung (hier: das Nichtanlegen des Sicherheitsgurts) einen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder den Umfang der Leistung hatte. Da im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden konnte, ob der Schaden durch das Nichtanlegen des Gurts verursacht wurde, ist eine pauschale Kürzung unzulässig.

Zudem betonte der OGH, dass § 6 Abs. 2 VersVG gemäß § 15a Abs. 1 VersVG einseitig zwingend zugunsten des Versicherungsnehmers ist. Eine vertragliche Abweichung zu dessen Nachteil ist daher unzulässig. Die Klausel wurde daher als überraschend und gröblich benachteiligend im Sinne des § 864a ABGB eingestuft und für unwirksam erklärt.


Auswirkungen auf die Praxis

Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmer:

  • Für Versicherungsunternehmen: Vertragsklauseln, die pauschale Leistungskürzungen bei Obliegenheitsverletzungen vorsehen, müssen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen.

  • Für Versicherungsnehmer: Im Falle einer Leistungskürzung aufgrund einer Obliegenheitsverletzung sollte geprüft werden, ob der Versicherer den erforderlichen Kausalitätsnachweis erbracht hat. Ist dies nicht der Fall, kann die Kürzung unzulässig sein. Gleichzeitig ist für den Versicherungsnehmer der Kausalitätsgegenbeweis zulässig.


🔍 Was bedeutet „Kausalitätsgegenbeweis“?

Der „Kausalitätsgegenbeweis“ bedeutet: Der Versicherungsnehmer kann trotz einer Pflichtverletzung die volle Leistung erhalten, wenn er (oder auch der Versicherer in umgekehrter Richtung) nachweist, dass kein Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden besteht.

In der Praxis trifft diese Beweislast jedoch oft den Versicherer. Er muss darlegen, dass:

  1. Eine Obliegenheit verletzt wurde und

  2. diese Verletzung für den Versicherungsfall oder den Schaden kausal war.

Kann der Versicherer diesen Kausalitätsnachweis nicht führen, bleibt die Leistungspflicht bestehen.


Fazit

Die Entscheidung des OGH unterstreicht die Bedeutung des Kausalitätsprinzips im Versicherungsrecht und schützt Versicherungsnehmer vor ungerechtfertigten Leistungskürzungen. Versicherungsunternehmen sind gehalten, ihre Vertragsbedingungen entsprechend anzupassen, um rechtliche Konflikte zu vermeiden.


Hinweis: Dieser Blog-Artikel dient der allgemeinen Information und ersetzt keine individuelle rechtliche Beratung.