In einer wegweisenden Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof (OGH) am 29.04.2025 im Fall 1Ob166/24d wichtige Klarstellungen zu Haftungsfragen und Versicherungsansprüchen bei Bauschäden getroffen. Diese Entscheidung ist für Bauherren, Unternehmen und Versicherungsnehmer gleichermaßen von großer Bedeutung und zeigt die komplexen rechtlichen Zusammenhänge bei Großschadensfällen auf.
Der Sachverhalt: Dramatischer Gebäudeeinsturz mit weitreichenden Folgen
Im konkreten Fall stürzte auf dem Betriebsgelände eines Unternehmens ein Teil eines Gebäudes ein, nachdem Bauarbeiten an der Unterfangung des Fundaments durchgeführt worden waren. Dem Einsturz gingen umfangreiche Bauarbeiten voraus, die neben Umbauarbeiten an bestehenden Gebäuden auch die Errichtung eines Neubaus im Innenhof vorsahen.
Die Klägerin hatte eine Generalunternehmerin mit der Unterfangung des bestehenden Gebäudes beauftragt, die wiederum eine Subunternehmerin einsetzte. Parallel dazu war ein weiteres Unternehmen mit der Generalplanung, statischen Berechnungen und örtlichen Bauaufsicht betraut worden. Dieses beauftragte ebenfalls einen Subunternehmer mit der Erstellung des Ingenieurbefunds und der statischen Planung.
Trotz dieser umfassenden Planung und Beauftragung kam es zu gravierenden Fehlern: Die Unterfangung wurde nicht fachgerecht ausgeführt, und ein vorhandener „Sporn“ im Fundament wurde nicht erkannt. Die DSV-Säulen (Düsenstrahlverfahren) wurden mit zu geringem Durchmesser hergestellt, wodurch keine durchgehende Unterfangungswand entstand. Das Ergebnis war katastrophal – das Gebäude verlor seine Standfestigkeit und stürzte ein.
Die Versicherungsfrage: Deckung und Lücken
Die Klägerin hatte vorausschauend sowohl eine Gebäude- und Betriebsunterbrechungsversicherung („All-Risk“-Versicherung) als auch eine Bauwesen- und Montageversicherung abgeschlossen. Aus diesen Versicherungen erhielt sie Leistungen in Höhe von insgesamt 8.476.000 EUR. Dennoch überstieg der Gesamtschaden mit 18.430.000 EUR die Versicherungsleistungen erheblich, weshalb die Klägerin die Differenz von den verantwortlichen Unternehmen forderte.
Die Entscheidung des OGH: Klare Haftungszuordnung
Der OGH hat in seiner Entscheidung die Haftung der beteiligten Unternehmen bestätigt und wichtige Grundsätze für ähnliche Fälle festgelegt:
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Haftung trotz Versicherungsleistung: Der Umstand, dass ein Geschädigter Versicherungsleistungen erhält, befreit die Schädiger nicht von ihrer Haftung für den verursachten Schaden.
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Zuordnung von Versicherungsleistungen: Bei mehreren Schadenspositionen muss klar sein, welche Positionen durch Versicherungsleistungen bereits abgedeckt sind und welche nicht.
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Bestimmtheit des Klagebegehrens: Ein Klagebegehren muss ausreichend bestimmt sein, auch wenn es sich um komplexe Schadensfälle mit zahlreichen Einzelpositionen handelt.
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Sorgfaltspflichten bei Bauarbeiten: Der OGH betonte die umfassenden Sorgfaltspflichten aller am Bau Beteiligten, insbesondere bei risikoreichen Eingriffen wie Unterfangungen.
Praktische Bedeutung für Unternehmen und Bauherren
Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für alle, die Bauvorhaben planen oder durchführen:
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Umfassende Versicherung ist essentiell: Der Fall zeigt, dass selbst bei Abschluss mehrerer Versicherungen Deckungslücken entstehen können. Eine sorgfältige Prüfung des Versicherungsschutzes vor Baubeginn ist daher unerlässlich.
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Dokumentation von Baugrunduntersuchungen: Die gründliche Untersuchung und Dokumentation des Baugrunds und bestehender Fundamente ist entscheidend, um kostspielige Fehlplanungen zu vermeiden.
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Klare Verantwortlichkeiten: Bei komplexen Bauvorhaben mit mehreren Beteiligten müssen die Verantwortlichkeiten klar geregelt und dokumentiert werden.
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Qualitätskontrolle während der Bauausführung: Regelmäßige und fachkundige Kontrollen während der Bauausführung können Fehler frühzeitig aufdecken und Großschäden verhindern.
Fazit: Vorsorge und rechtliche Absicherung sind unverzichtbar
Der vom OGH entschiedene Fall unterstreicht die Bedeutung einer umfassenden rechtlichen und versicherungstechnischen Absicherung bei Bauvorhaben. Insbesondere bei Eingriffen in die Bausubstanz bestehender Gebäude sind höchste Sorgfalt und fachliche Expertise gefordert.
Für Unternehmen und Bauherren empfiehlt sich daher:
- Eine frühzeitige und umfassende rechtliche Beratung
- Der Abschluss ausreichender Versicherungen mit angemessenen Deckungssummen
- Die Beauftragung erfahrener und qualifizierter Fachunternehmen
- Eine lückenlose Dokumentation aller Planungs- und Bauschritte
Wenn Sie Fragen zu Ihrer rechtlichen Absicherung bei Bauvorhaben oder zu Ihrem Versicherungsschutz haben, stehen wir Ihnen gerne für eine individuelle Beratung zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns, um Ihre Rechte zu wahren und kostspielige Risiken zu minimieren.