In einer richtungsweisenden Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof (OGH) am 19.03.2025 im Fall 7Ob22/25y wichtige Klarstellungen zum Deckungsumfang der Berufshaftpflichtversicherung für Ärzte getroffen. Diese Entscheidung ist für alle Mediziner und Gesundheitsdienstleister von großer Bedeutung, die auf den Schutz ihrer Berufshaftpflichtversicherung angewiesen sind.
Der Fall: Streit um die Deckung bei Aufklärungsmängeln
Im konkreten Fall hatte ein Patient einen Arzt auf Schadenersatz verklagt, weil dieser ihn vor einem operativen Eingriff nicht ausreichend über mögliche Risiken und Alternativen aufgeklärt hatte. Der Patient erlitt nach der Operation Komplikationen, über deren Möglichkeit er nach eigenen Angaben nicht informiert worden war. Er argumentierte, dass er bei entsprechender Aufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt hätte.
Die Berufshaftpflichtversicherung des Arztes verweigerte die Deckung mit der Begründung, dass Aufklärungsmängel keine „ärztliche Behandlungsfehler“ im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellten, sondern dem Bereich der „allgemeinen Berufsausübung“ zuzuordnen seien, für die ein geringerer Versicherungsschutz bestehe.
Die Entscheidung des OGH: Weite Auslegung des Behandlungsbegriffs
Der OGH hat in seiner Entscheidung eine umfassende Auslegung des Begriffs „ärztliche Behandlung“ vorgenommen:
-
Aufklärung als integraler Bestandteil der Behandlung: Die ärztliche Aufklärung ist nicht bloß eine Nebenpflicht, sondern ein wesentlicher und integraler Bestandteil der ärztlichen Behandlung. Aufklärungsmängel sind daher als „ärztliche Behandlungsfehler“ zu qualifizieren.
-
Einheitlicher Behandlungsbegriff: Der Begriff der „ärztlichen Behandlung“ umfasst den gesamten Behandlungsprozess von der Anamnese über die Diagnose, Aufklärung, Therapie bis zur Nachsorge. Eine künstliche Aufspaltung dieses einheitlichen Prozesses widerspricht dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.
-
Kundenfreundliche Auslegung: Bei Unklarheiten in den Versicherungsbedingungen ist im Zweifel die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegung zu wählen (Unklarheitenregel nach § 915 ABGB).
-
Transparenzgebot: Einschränkungen des Versicherungsschutzes müssen in den Versicherungsbedingungen klar und verständlich formuliert sein. Unklare Klauseln gehen zu Lasten des Versicherers.
Praktische Bedeutung für Ärzte und Gesundheitsdienstleister
Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen für alle im Gesundheitsbereich Tätigen:
-
Umfassenderer Versicherungsschutz: Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister genießen nun einen deutlich umfassenderen Schutz bei Haftungsfällen wegen mangelhafter Aufklärung.
-
Prüfung der Versicherungsbedingungen: Bestehende Berufshaftpflichtversicherungen sollten auf unklare Abgrenzungen zwischen verschiedenen Arten von Berufspflichten überprüft werden.
-
Dokumentation der Aufklärung: Trotz des verbesserten Versicherungsschutzes bleibt eine sorgfältige Dokumentation der Patientenaufklärung essentiell, um Haftungsfälle zu vermeiden.
-
Widerspruch bei Ablehnungen: Bei Ablehnung von Versicherungsleistungen wegen angeblich nicht gedeckter Aufklärungsmängel lohnt sich ein qualifizierter Widerspruch unter Verweis auf die aktuelle OGH-Rechtsprechung.
Fazit: Mehr Rechtssicherheit für Mediziner
Der OGH hat mit dieser Entscheidung für mehr Rechtssicherheit im Bereich der ärztlichen Berufshaftpflichtversicherung gesorgt und die Position der Versicherungsnehmer deutlich gestärkt. Die umfassende Auslegung des Begriffs „ärztliche Behandlung“ entspricht dem Grundgedanken der Berufshaftpflichtversicherung, nämlich dem umfassenden Schutz vor den finanziellen Folgen beruflicher Haftungsfälle.
Für Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister bedeutet dies, dass sie ihre Ansprüche mit größerer Aussicht auf Erfolg durchsetzen können, wenn ihre Versicherung die Deckung bei Aufklärungsmängeln verweigert. Gleichzeitig unterstreicht die Entscheidung die Bedeutung einer sorgfältigen Prüfung der Versicherungsbedingungen vor Vertragsabschluss.
Wenn Sie als Arzt oder Gesundheitsdienstleister Probleme mit Ihrer Berufshaftpflichtversicherung haben oder Unterstützung bei der Durchsetzung von Ansprüchen benötigen, stehen wir Ihnen gerne für eine individuelle Beratung zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns, um Ihre Rechte optimal zu wahren und Ihre Erfolgsaussichten realistisch einschätzen zu lassen.